Der Weg zum Ich


FouquetPortrait (3K)


"Kreativität ist heute von der Werbung usurpiert. Die Sprache des Stils richtet sich nicht mehr darauf neue Möglichkeiten zu eröffnen, sondern darauf alle Ausdrucksmöglichkeit und Individualität unter dem Diktat eines öden Kommerzialismus zu vereinheitlichen." Also sprach Neville Brody, einer der bestbekannten Designer seiner Generation (1998), und dass Stil heute eine Krankheit sei.
Stil ist individueller Ausdruck, aber folgt man seinen und den Kasssandrarufen anderer Kritiker, Künstler und Philosophen, so scheint es, dass jene jahrhundertelange Reise zur Individualität nun beendet ist, ja sich in ihr Gegenteil verkehrt hat, und dass sie nun wieder zurück in jenes mittelalterlich-vormoderne Uniformität geht. Es ist das späte Mittelalter, das 15.Jahrhundet im Spezielen, das in diesem Prozess den Aufbruch und die allmähliche Entdeckung des Ichs bedeutet, in Literatur, Philosophie und, bildgeworden, in der Kunst. In einer geradezu rasenden Entwicklung gelingt innerhalb weniger Jahrzehnte der Schritt von der hieratisch-statischen entstofflichten Sakralkunst der vorgehenden Jahrhunderte hin zu bemerkenswert veristischen und erscheinen lebensechte Porträts, und fast noch wichtiger, Autoporträts.
In der Kunst nördlich der Alpen beginnt jene zunächst noch tastende, halb unbewusste Reise im 15.Jahrhundert, mit kreativer Unterstützung aus Italien (seinerseits mit Hilfe Byzanz'), mit Jan van Eyck (+1441) und Rogier van der Weyden (1399/1400-64, s. auch Antiquitätenzeitung 10, Mai 1999), um später mit Hans Holbein (1497/8-1543), Lucas Cranach (1472-1553) - an den derzeit Ausstellungen in Hamburg (Bucerius Kunst Forum) und Wittenberg erinnern - und natürlich Albrecht Dürer - man erinnerere sich an die Ausstellung im Britischen Museum in diesem Frühjahr - zu einem ersten Höhepunkt zu gelangen.
In Frankreich wirkt zur gleichen Zeit Jean Fouquet. Kein Jubiläum bietet sich aus Anlass der ihm nun in der Bibliotheque Nationale gewidmeten Schau, kein runder Geburts-, Hochzeits-, Namens -, Sterbe- oder Sonstigertag - was auch schwierig genug wäre, sind seine Lebensdaten doch nur ungefähr bekannt. Um 1420 geboren, um 1450 aus einem wohl mehrjährigen Aufenthalt in Norditalien (einschliesslich Florenz) zurückgekehrt, danach ansässig in Tours, geachtet und gesucht als Künstler, wirkt er als Maler, Buchilluminator, Porträtist für die höfische Szene, wird um 1475 Hofmaler Charles VIII., und stirbt irgendwann zwischen 1478 und 1481. Von seinen Zeitgenossen wird er als der grösste Künstler seiner Zeit bezeichnet. "Jehan Fouquet von welchem ich hier spreche, ist nicht nur der einzig und bei weitem der am meisten befähigte Maler seiner Zeit, sondern er hat alle seine Vorläufer übertroffen." (Francesco Florio, De Probatione Turiconica). Er bleibt bis ins 19.Jahrhundert weitestgehend vergessen, und so zeigt sich wieder einmal, dass angesichts der Fähigkeit des Menschen zur kulturellen Amnesie seine kreativen Errungenschaften zu einem Nichts verblassen.
Bis auf wenige Objekte vereinigt die Schau nahezu sein gesamtes erhaltenes Werk. Nicht ausgestellt sind leider das Diptychon aus Melun mit dem Porträt der in die kulinarische Geschichte des Abendlandes eingegangenen königlichen Geliebten Agnes Sorel (heute in den Berliner Staatlichen Museen und dem Musée des Beaux Arts Anvers) - man versuche nur die Schnepfen à la Agnes Sorel; und das Stundenbuch für Etienne Chevalier, im Original im Musée Condé de Chantilly, das für den Transport zu delikat und hier leider "nur" in einer New Yorker Kopie zu sehen ist.
Zahlreiche seiner Werke sind verloren oder nur noch in Kopien bekannt - gezeigt werden eine Anzahl von Zeichnungen und Gemälden aus dem 16.Jahrhundert -, daher bleibt die Ausstellung überschaubar und nimmt "lediglich" zwei Säle der Galerie Mazarine in Anspruch. Qualitativ bleibt allerding wenig zu wünschen. Die Organisatoren haben wichtige Stücke aus den namhaften internationalen Sammlungen zusammengetragen, aus dem Metropolitan in New York, dem Kupferstichkabinett in Berlin, der Eremitage, aus Florenz und Los Angeles. Im Eingangsraum werden Gesamtansichten und Ausschnitte seiner Gemälde und Buchmalerein auf eine grosse Leinwand projiziert und stimmen den Besucher wirkungsvoll auf das Kommende ein. Es ist eine ebenso simple wie, buchstäblich, einleuchtende Idee, denn einerseits vertieft sich der Eindruck der fantastischen Leuchtkraft der Originale, und andrereseits offenbaren sich die zahlreichen, wahrhaft deliziösen Details, die sich ansonsten, wie das in der Natur der Objekte liegt, nur mühsam, vornübergebeugt über die Vitrinen und Schaukästen erkennen lassen oder einem myopischen Besucher gänzlich entgingen. Die Gliederung des Hauptsaales folgt den Tätigkeitsbereichen Fouquets und zeichnet seine Tätigkeit als Buchmaler, Porträtist, religiöser Künstler und Hofartist nach. Eine letzte Abteilung behandelt das Thema seiner Ausstrahlung, seines Umfeldes und seiner Schüler, streift dabei auch die Werkstattfrage.
Kaum ein Werk zeigt den Geist der neuen Zeit treffender als jene zwei hier ausgestellten Porträts Guillaume Juvenels des Ursins, des königlichen Kanzlers, von ca. 1460. Das eine ist ein repräsentatives Ölgemälde, das den älteren Herrn, realistisch und im Gebet begriffen, jedoch bereits im typischen, geschönten Stil der zeremoniellen Kunst zeigt. Noch interessanter ist die gegenüber ausgestellte Zeichnung desselben Mannes, vermutlich der Vorentwurf für das Gemälde. Sparsam angelegt in wenigen schwarzen Kreidestrichen, weiss und rotbraun gehöht, ist es geradezu eine vergilbte Momentaufnahme aus dem späten Mittelalter. Man sieht, wie sich der vielleicht 60-jährige Beamte schnaufend auf einem Stuhl gegenüber dem Künstler niederlässt, und sich ins beste Licht rückt, stillhält, in Gedanken vielleicht bei einem wichtigen Problem, über dem nächsten Regierungsgeschäft brütend. Eine halbe Stunde später ist die Sitzung beendet, das Leben geht weiter. 640 Jahre später ist der moderne Besucher Zeuge jener 30 Minuten, festgehalten, hoffentlich, für die Ewigkeit.
Jean Fouquets bahnbrechende Aktivität als Buchmaler zeigen die "Grandes Chroniques de France" und die Stundenbücher, die er im Auftrag hoher Hofbeamter anfertigte. Die "Chroniken" sind eine Geschichte der französischen Monarchie von ihrem Ursprung mit dem mythischen trojanischen Helden Pharamond und bis heute wichtiges Quellenwerk französischer Geschichtsschreibung. Wohl um 1460 wurde das Sammelwerk auf den neuesten Stand gebracht und Fouquet mit der Illustration beauftragt. Seine Verbindung mit dem königlichen Schatzmeister Etienne Chevalier, für den er bereits ein Stundenbuch angefertigt hatte, mag ihm bei der Auftragserteilung zugute gekommen sein. In 53 Miniaturen zeichnet er die Geschichte der französischen Könige nach. Sie tragen seine inzwischen in der Forschung als typisch erkannte Handschrift, den geordneten und geometrischen Aufbau der Szenen, die Plastizität der Figuren mit häufig deutlich porträthaften Zügen, das reduzierte Rahmenornament.
Sein Beispiel macht Schule, in direkten Kopien, Anlehnungen und Variationen werden von ihm eingeführte Themen und Stilelemente fortgeführt. Unter seinen Nachfolgern, Schülern und Imitatoren ragt vor allem der sog. Künstler des Münchner Boccaccio (heute in der Staatsbibliothek) hervor - vielleicht sein Sohn, der in seine Fusstapfen trat.
Am Ende bietet diese bemerkenswerte Schau ausser dem schieren Vergnügen auch Gelegenheit den anfänglich angestimmten Abgesang auf die Kreativität und somit den Weiterbestand der Kunst etwas zu relativieren. Genies, denen es gegeben ist Kunst neue Richtung zu geben, sind und waren stets die Ausnahme. Denn bei aller Individualität ist Stil immer auch Zeitstil, abhängig von seinem Umfeld und entsteht nicht im luftleeren Raum. Der pauschale Vorwurf der Vereinheitlichung und Einfallslosigkeit trifft daher auf alle Perioden zu. Darüber hinaus war Kunst immer schon vom Auftraggeber abhängig, somit dem Diktat des Kommerz unterworfen, und das nicht nur zu ihrem Nachteil.
Wenn's sich einrichten lässt, sollte man sich in diesem Zusammenhang auch die Parallelausstellung im Musée de Chantilly bis 22.Juni nicht umgehen lassen, "L'Enluminure en France au temps de Jean Fouquet". Es findet sich dort auch die Gelegenheit das Stundenbuch für Etienne Chevalier im Original zu besichtigen.

Jean Fouquet, Peintre et enlumineur du XVe siècle, Bibliothèque nationale de France - site Richelieu, Galerie Mazarine, -22.Juni, Eintritt 5 Euro, montags geschlossen.
Katalog: Francois Avril (Hrsg.), Peintre et enlumineur du XVe siècle, Bibliothèque Nationale de France & Hazan, 2003, 416 S., zahlreiche, farbige Abb., 65 Euro.
Broschüre zur Ausstellung: Francois Avril, Pierette Crouzet-Daurat (Hrsgg.), 2003, Edition de la BnF, 48S., in Farbe, 7,50Euro.

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© Dirk Bennett 2003